Unsere Story zu Halloween
Veröffentlicht von Renate Brandes in Vermischtes · Donnerstag 24 Okt 2024 · 4:45
Tags: Halloween, Kurzgeschichte, Regina, Rothengast
Tags: Halloween, Kurzgeschichte, Regina, Rothengast
Unsere Story zu Halloween von Regina Rothengast:
Süßes oder Saures – ein (alb-)traumhaftes Halloween
Der letzte Tag im Oktober neigt sich seinem Ende zu. Die Dämmerung setzt allmählich ein. Mein Blick fällt auf die Uhr. Jetzt müssten sie gleich kommen. Ich lächle in mich hinein, voller Vorfreude auf die kleinen Racker. Ich spreche von den Gruppen, die an Halloween in gruseligen Kostümen um die Häuser ziehen.
»Süßes oder Saures!« Diese Drohung bekommt die Hausfrau entgegen geschleudert, wenn sie sich gebefreudig an der Haustüre zeigt mit einer Schüssel voller Leckereien für die lieben Kleinen. Natürlich gibt es von mir Süßes für die süßen Monster. Alles steht bereit. Ich bin zufrieden mit meiner Auswahl. Für jeden etwas dabei. Da bin ich mir sicher. Na, wo bleiben sie denn heute? In mir macht sich plötzlich ein seltsames undefinierbares Gefühl breit. Ich setze mich zum Warten in meinen Sessel und schaue mir das Sortiment gedankenverloren an.
Es klingelt. Na endlich! Ich eile zur Haustüre.
Ein furchterregend verkleideter Höllentrupp blickt mir unfreundlich entgegen und inspiziert kritisch mein überaus gut sortiertes Angebot. Schon geht es los.
Der kleine vorlaute Vampir links unten piepst als erster zwischen seinen Fangzähnen hervor: »Ist das alles Bio oder zumindest regional?«
Dann folgt der coole Batman und starrt mich durch seine Maske strafend an: »Da ist bestimmt nichts ohne Laktose dabei! Igitt, von diesem Zeug krieg ich Durchfall.«
Ausgerechnet ein Skelett, dem eine Mästung mit meinem Naschwerk sicher nicht schaden würde, fragt nach zuckerfreien Köstlichkeiten. Mein Fruchtgummi findet wegen des Gelatinegehalts keine Beachtung bei der veganen Zauberin. Dieser würde ich jederzeit zutrauen, dass sie mit dem mitgebrachten riesigen Zauberstab nicht nur meinen selbstgesteckten Türkranz abräumt, sondern auch die schnuckeligen »Gummibärle« in seelenlose vegane »Colafläschle« verwandelt. Die dann hundertprozentig ein anderes kleines Monster wegen des Koffeins meidet. Eine Minihexe weist mich weinerlich darauf hin, dass sie eine Nussallergie hat, aber ich solle mich nicht sorgen, nur auf Erdnüsse. Hanuta könne sie nehmen, aber um Himmels Willen kein Snickers. Doch ich sorge mich, spätestens ab jetzt! Das nimmt ja Ausmaße an. Erbleichend sinne ich auf Schadensbegrenzung. Schließlich liegt mir nichts ferner, als die ganze hoffnungsvolle Brut unserer kleinen Dorfgemeinschaft zu meucheln. Mein Vorschlag, die zweifelhaften Lebensmittel zusammen auszusortieren und den jeweiligen bedauernswerten gehandicapten Gruppen zuzuordnen, findet kein Gehör.
Also, dann besser Rückzug. Ich schaue über meine rechte Schulter. Der Weg, sprich Hausflur, ist frei. Kein Kampfzwerg, der mir die rettende Flucht ins Haus vereiteln könnte.
Ich murmle kurz: »Sorry, dann hab ich nichts für euch«, und will die Türe zuschlagen. Schneller als ich »Tschüss« sagen kann, hat das Gespenst, bis zu diesem Zeitpunkt ein stummer Beobachter der Szenerie, in bester Vertretermanier seinen Fuß dazwischen.
»Stopp«, kommt es unter dem Betttuch hervor »ICH darf ALLES essen! «
Hurra, es geschehen noch Zeichen und Wunder! Schon hat es seine Krallen in der Schüssel und rafft, so schnell es möglich ist, die liegengebliebenen Süßwaren in einen undefinierbaren Beutel. Eine allgemeine Unruhe macht sich unter der Räuberbande breit.
Ein Teufel, der sich hinsichtlich seiner kulinarischen Präferenzen noch nicht geoutet hat, fragt forsch nach Ersatz für die verschmähten Spenden. »Wie wäre es mit etwas Kleingeld?« Zustimmendes Geheul von allen Seiten.
Da regt sich auch in mir der Widerstand und ich verwandle mich von der lieben Omi in einen Horrorclown, zumindest hab ich das Gefühl, dass mein breites Lächeln so einem Antlitz entsprechen könnte. Ich kann es mir gerade noch verkneifen zu keifen, dass das undankbare Volk Land gewinnen soll. So gelingt der zweite Rückzug recht lautlos, aber er gelingt. Die Türe ist zu, Belagerung zu Ende. Durch das Flurfenster sehe ich das Geschwader maulend abrücken und mir schwirrt der Kopf von all den Schlagwörtern »Lactose, Gluten, Allergie, Bio, Nüsse…«
Es ist mir sonnenklar, was nun passieren wird. Die rotzfreche gespenstische Horde wird nach Hause ausschwärmen und dort erzählen, dass die Ausbeute bei uns gleich null war. Das verbreitet sich in einem kleinen Ort wie ein Lauffeuer. Ich laufe also Gefahr, ab sofort als »die geizige Alte« in die Dorfannalen einzugehen. Aber das ist mir egal. Bekanntlich lebt es sich ungeniert, ist der Ruf, der einem meistens vorauseilt, erst ruiniert.
Es klingelt. Was soll das? Ich schaue verwundert um mich. Warum sitze ich in meinem Sessel und habe immer noch die Schüssel mit den Süßigkeiten auf meinem Schoß? Ich muss bei der Warterei eingenickt sein! Das ist alles nur ein kleiner Halloween-Albtraum gewesen! Es klingelt ein zweites Mal.
Erleichtert eile ich zur Haustüre und freue mich unbändig, als ich die gruselige Rasselbande sehe, die im Chor ruft: »Süßes oder Saures!« Artig, einer nach dem anderen, greifen die kleinen Monster zu, jedes Kind ganz diszipliniert nur eine Süßigkeit.
»Dürft ihr das auch alles essen?«, frage ich vorsichtshalber und erkenne trotz der Verkleidung die Verwunderung auf den Gesichtern.
»Klaro!«, strahlt der kleine vorlaute Vampir.
»Dankeschön!«, rufen meine kleinen Gäste und machen kehrt.
»Gerne, bis nächstes Jahr«, antworte ich und schließe die Türe. Was für ein traumhaftes Halloween!
-> weitere Titel von Regina Rothengast: Meine wundervolle Weihnachtsmischung und Jolanda und Kirsten